Der Langgönser Unternehmer und Autozulieferer Manfred Boida verdankt seine Karriere mutigen Entscheidungen, Freundschaften – und schnellem Handeln, als beispielsweise Daimler mit einem Shit-storm zu kämpfen hatte. Nun ist Boida mit dem Hessischen Verdienstorden ausgezeichnet worden.

Das erste, was an Manfred Boida auffällt, ist sein Blick. Offen, neugierig, ständig in Bewegung, ein leises Schmunzeln funkelt in den Augen. Wer dem 88 Jahre alten Langgönser begegnet, könnte ihn wegen seiner Freundlichkeit, die er ausstrahlt, als Unternehmer unterschätzen.

Dabei ist Boida ein Macher, der in seiner Karriere knallharte und mutige Entscheidungen getroffen hat. Einer, der Anfang der 80er Jahre in Langgöns ein bis heute wachsendes Unternehmen aus dem Boden gestampft hat. Der, als ihm das Gießener Regierungspräsidium bei Erweiterungsplänen einen Strich durch die Rechnung gemacht hat, kurzerhand ein zweites Werk in Tirol aufgebaut hat. Und der Daimler einmal geholfen hat, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, als es das Wort Shit-storm im deutschen Sprachgebrauch noch gar nicht gab.

Boida läuft durch die neue, vor zwei Jahren errichtete Werkshalle seines Unternehmens am westlichen Rand von Langgöns im Gewerbegebiet Perchstetten. Er begleitet seine Tochter Barbara Arnheiter, die von ihm die Geschäftsführung übernommen hat. Steckerverbindungen werden hier vor allem produziert, die zum großen Teil in der Automobilindustrie für die Signal- und Datenverbindung in Fahrzeugen verwendet werden. »Mitte der 90er Jahre wurden in Autos rund 80 Stecker verbaut. Heute sind es 300«, macht Boida den wachsenden Bedarf seiner Produkte deutlich. Dann bleibt er überrascht vor einer Pinnwand stehen. Ein Foto hängt dort, das Boida mit dem Ministerpräsidenten Volker Bouffier zeigt. »Hängt das jetzt schon hier?«, fragt er. Dass Bouffier ihn in Wiesbaden mit dem Hessischen Verdienstorden gewürdigt hat, sei doch erst eine Woche her.

Über die Auszeichnung habe er sich gefreut, sagt Boida. Der wichtigste Augenblick in seiner Karriere allerdings liegt deutlich weiter zurück, knapp 40 Jahre ist das nun her.

Boida hat sich damals gerade selbstständig gemacht. 1982 hat der gelernte Formenbauer die Langgönser Firma Freyaplast verlassen, die damals durch Schicksalsschläge, einen schweren Brand und unternehmerische Fehlentscheidungen in die Krise geraten war. Boida hat damals für sein eigenes Start-up einen Großkunden von Freyaplast mitgenommen und dann zunächst in der Langgönser Obergasse zu Hause in der Waschküche sein Unternehmen geführt, hat kurz darauf einen Schweine- und einen Kuhstall ausgebaut. Wenig später aber ist Freyaplast pleite, und der nach dem Brand übriggebliebene Teil des Unternehmens steht zum Verkauf. Boida sieht seine Chance, Maschinen, Personal und Kunden zu übernehmen.

Und so sucht Boida damals die Volksbank Gießen für einen Kredit auf. »Ich brauche 800 000 Mark«, sagt er dem Sachbearbeiter. Dessen Frage nach Sicherheiten oder Eigenkapital muss Boida verneinen, der Sachbearbeiter erteilt ihm daraufhin eine Absage. Schimpfend verlässt der Langgönser die Bank, doch draußen eilt ihm der Chef der Volksbank Gießen hinterher. Was sei denn los?, fragt dieser. »Ich könnte so viele Arbeitsplätze schaffen«, klagt Boida. Einen Augenblick später stehen sie wieder im Bankgebäude, der Volksbank-Chef staucht seinen Mitarbeiter zusammen: »Sie geben Herrn Boida sofort einen Kredit.«

Boida lacht laut auf, als er die Anekdote erzählt. »Wenn das nicht funktioniert hätte«, sagt seine Tochter. Er ergänzt: »Dann wäre Feierabend gewesen.«

Boida legt mit dem Bankkredit damals den Grundstein für ein Unternehmen, das heute 60 Mitarbeiter beschäftigt, rund drei Millionen Euro Umsatz im Jahr erzielt und das Steckverbindungen unter anderem für Autos der Marken von Daimler, Volkswagen, Porsche und Jaguar herstellt.

Im Jahr 1997 trägt Boida zudem dazu bei, ein Fiasko bei Daimler zu verhindern. Damals ist bei einem sogenannten »Elchtest« – einem schnellen Lenkmanöver nach links und rechts – ein Fahrzeug der neuen A-Klasse umgekippt. Das von Häme begleitete Medienecho ist riesig, Daimler stoppt die Auslieferung. Doch innerhalb kurzer Zeit gelingt es dem Autohersteller, eine Schleuderschutztechnik serienmäßig in die A-Klasse einzubauen. Boida ist es, der damals die dafür erforderlichen Steckerverbindungen herstellt. »Vertreter von Mercedes waren hier. Nach drei Wochen haben wir die Stecker auf den Tisch gelegt. Die Fertigung konnte anlaufen.«

Boidas Karriere hat in Niedersachsen begonnen. Seine aus Schlesien stammende Familie ist Ende der 40er Jahre mit ihm als Kind dorthin geflüchtet. Er absolviert in Aldorf eine Lehre zum Formenbauer. Danach geht er nach Frankfurt, arbeitet dort beim Radiohersteller Braun.

Als das Langgönser Unternehmen Freyaplast nach Formenbauern sucht, zieht Boida in den Kreis Gießen. »Meine Mutter hat mal gesagt, ich sei wie ein Zugvogel«, erzählt er. Die Zeit als Flüchtling habe ihn geprägt. »Ich war gezwungen, neu zu denken.« Es habe mit diesen Erfahrungen zu tun, dass er beruflich ständig für Neues offen gewesen sei.

Boida zeigt einem Mitarbeiter den Verdienstorden, mit dem vor wenigen Tagen seine Lebensleistung gewürdigt worden ist. Jeden zweiten Tag besuche er noch sein Unternehmen, erzählt er. »Ich hole dann erstmal die Post.« Außerdem probiere er an 3D-Druckern neue Ideen aus. Für die Feierstunde beim Ministerpräsidenten hat er ein Wappenschild mit dem hessischen Löwen ausgedruckt und Bouffier als Geschenk mitgebracht.

Ausgezeichnet wurde Boida wohlgemerkt nicht nur für seine unternehmerischen Verdienste, sondern auch für Freundschaften, die der Langgönser geknüpft hat. Auf einer Reise mit einem Langgönser Chor des Gesangvereins »Germania« im Zillertal sieht er beim Auspacken vom Fenster des Hotelzimmers aus, wie draußen eine Musikkapelle vorbei marschiert. Boida läuft spontan hinterher, spricht den Kapellmeister aus Tirol an und besucht wenig später einen Konzertabend. Der Kapellmeister wird Boidas bester Freund – und dessen Heimatgemeinde St. Ulrich am Pillersee der bevorzugte Urlaubsort des Langgönsers. Die beiden sind maßgeblich verantwortlich für die Städtepartnerschaft, die zwischen Langgöns und St. Ulrich bis heute besteht.

Boida besiegelt die Partnerschaft Anfang der 90er Jahre auf wirtschaftlicher Ebene – wenn auch nicht ganz freiwillig. 1992 will er seinen Betrieb in Langgöns erweitern, reicht Pläne beim Regierungspräsidium ein. Doch Regierungspräsident Hartmut Bäumer, ein Grüner, lehnt sie ab. Kein Quadratmeter dürfe mehr versiegelt werden, habe Bäumer erklärt. Boida diskutiert nicht lange herum, sondern fragt in St. Ulrich an. Eigentlich dürfen Deutsche dort damals kein Land erwerben, doch nach Gesprächen mit dem Landeshauptmann hat Boida innerhalb von zwei Wochen die Genehmigung. »Da haben alle gestaunt«, sagt er. Die Politik habe dort den wirtschaftlichen Vorteil gesehen. »Da unten gab’s nur Kellner, Maurer und vielleicht Tischler.« Als Boida Lehrlinge in Tirol einstellt, stellt sich heraus, dass es dort den Ausbildungsberuf des Formenbauers damals noch gar nicht gibt, die Lehrlinge verbringen daher für die theoretische Ausbildung drei Monate in der Steiermark.

Und so verdankt Boida unternehmerischem Mut, Freundschaften, den kaufmännischen Fähigkeiten seiner verstorbenen Frau und einem familiären Führungsstil eine bemerkenswerte Karriere. Neben seiner Tochter, der Geschäftsführerin, arbeiten auch zwei Söhne im Betrieb. Mitarbeitern hilft er bisweilen mit zinslosen Krediten aus.

Luxus kennt Boida derweil nicht. »Ich war mal auf Korsika«, sagt er. »Aber nur zum Wandern.« Fit halte er sich mit zwei Stunden Wandern jeden Tag und mit dem Bemalen von Zinnfiguren. Dann sitzt Boida im stillen Kämmerlein, hält eine Lupe vor das Auge und führt vorsichtig einen Pinsel an die Figuren. Er male zum Beispiel Szenen aus Opern wie der »Entführung aus dem Serail« nach, erzählt er. 20 000 Zinnfiguren hat Boida zu Hause.

Auf die Frage nach dem Geheimnis für seine Gesundheit im Alter verweist er auf ein Rezept von Johannes Heesters. Er presse drei Knollen Knoblauch aus und lasse sie in einem Liter Zirbenschnaps für zwei Wochen reifen, sagt Boida. »Ich trinke davon jeden Morgen vor dem Frühstück.«

Quelle: https://www.giessener-allgemeine.de/kreis-giessen/der-freundliche-macher-90889576.html

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